Schafe treibt man nicht

Mein Herr, sieh doch selbst, dass die Kinder noch sehr empfindlich sind und ich auch Rücksicht nehmen muss auf die säugenden Schafe und Kühe. Wenn man sie auch nur einen Tag übertriebe, dann würde die ganze Herde zugrunde gehen. 1. Mose 33, 13

Viele Jahre lebte Jakob wegen seines Bruders Esau im Exil, der ihm wegen eines schlimmen Betruges Rache geschworen hatte. Mittlerweile war Jakob ein reicher Mann geworden und Gott hatte ihm jetzt befohlen, wieder zu seinem Bruder zurückzukehren. Esau hörte von der Rückkehr seines Bruders und der Groll erwachte in ihm. Vierhundert starke Männer ließ er aussuchen und bewaffnen, um mit Jakob die alte Rechnung zu begleichen. Der Tag der Begegnung wurde jedoch zum Tag der Versöhnung. Gott hatte sich dieser verfeindeten Brüder angenommen und alles zum Guten gelenkt. Nun lagen sie sich in den Armen, weinten und freuten sich über ein Wiedersehen. Esau machte ihm ein großartiges Angebot: Er war bereit, ihm seine Soldaten als Schutztruppe vor Plünderern und Wegelagerern zur Verfügung zu stellen. Jakob lehnte aber ab. Ihm taten die Kinder, die säugenden Schafe und Kühe mit ihrem Nachwuchs Leid. Langsam wollte er vorwärts gehen. Auf die Schwachen wollte er Acht geben und dafür sorgen, dass keines dahinten blieb. – Esau verstand seine Argumente, willigte ein, und zog mit seinen Männern davon. –

Eine Gemeinde besteht aus allen Schichten der Gesellschaft und jeder bringt seine Erziehung, seine Prägungen und Erfahrungen mit. Niemand ist dem anderen gleich. So sind einige leichter verletzbar als andere. Sie tragen nach und kommen schlecht über das hinweg, was ihnen Mühe macht. Andere dagegen sind robust und kernig. Sie haben bald begriffen um was es geht, möchten vorpreschen und wenn möglich alles in kurzer Zeit verändern. Wieder andere hatten nie Erfolg im Leben, erahnen aber hier ihre Gelegenheit, Karriere zu machen. Die Jugend hat ihre eigenen Probleme und möchte modern sein.

Der arme Hirte steht mitten drin und fühlt sich von allen Seiten bedrängt. Was soll er tun? Auf wen soll er hören? Wie soll er leiten? Um Menschen führen zu können, braucht es viel Erfahrung, viel Liebe und immer wieder Geduld und Weisheit. Wahre Hirten denken und handeln wie Jakob. Sie schätzen Altes und sind trotzdem offen für Neues. Sie halten nichts von Seminaren, wo gelehrt wird, dass Wachstum machbar sei. Ihnen tun die Ohren weh, wenn sie Jubelrufe hören, die im Glauben bereits Siege feiern noch ehe die Schlacht begonnen hat. Sie möchten um keinen Preis ihren lockenden Ruf der Liebe mit harten Kommandotönen eines Kasernenhofes tauschen.  Ihnen tun die zarten Lämmer Leid, die noch unerfahren sind und mit den anderen noch nicht Schritt halten können. Auch die Gebrechlichen kennen sie wohl und haben nicht vergessen, dass auch diese einmal stark waren und die Lasten anderer mit Geduld trugen.

Auch die alten Schafe liegen ihnen am Herzen. Sie wissen, dass die Musik wegen ihrer schwachen Ohren nicht zu laut sein darf und ab und zu auch mal ein altes Lied von früher nicht fehlen sollte. Balance ist geboten und Zusammenhalt. Sie sind sich voll bewusst, dass, wenn die Atmosphäre gesund und geistlich ist, sich die Schafe nicht nur wohl fühlen, sie werden auch laufend neue Lämmer zur Welt bringen und die Herde wird ohne Druck und Manipulation wachsen.

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