Hände reichen

Die Gileaditer besetzten die Furten des Jordans vor Ephraim. Wenn nun einer von den Flüchtlingen Ephraims sprach: Lass mich hinübergehen!, so sprachen die Männer von Gilead zu ihm: Sprich den Namen Schiboleth. Sprach er aber Sibboleth, weil er’s nicht richtig aussprechen konnte, dann ergriffen sie ihn und erschlugen ihn an den Furten des Jordan, so dass zu der Zeit von Ephraim zweiundzwanzigtausend fielen. Richter 12, 6

Ein schrecklicher Bruderkrieg war unter dem Volk Israel entbrannt. Der Stamm Gilead bekämpfte den Stamm Ephraim. Ein mächtiger Flüchtlingsstrom aus Ephraim setzte sich in Bewegung. Sie mussten über den Jordan ziehen, um in Sicherheit zu kommen. Genau hier hatte der Stamm Gilead seine Wächter aufgestellt. Sie wollten nur die eigenen Brüder ins Land ziehen lassen. So gab es eine Art „Ausweiskontrolle“. Wer von den Flüchtlingen den Namen Schiboleth nicht richtig aussprechen konnte, hatte sich als Feind entlarvt und wurde an Ort und Stelle umgebracht. Zweiundzwanzigtausend verloren auf diese Weise ihr Leben. Keine Armee der Welt kämpft gegen ihre eigenen Soldaten. Einmütigkeit und Geschlossenheit waren zu allen Zeiten das Geheimnis ihrer Siege. Im Reich Gottes ist das oft anders.

Christen waren sich selten einig, wenn ihre Lager unterschiedlich waren. Selten konnten sie mit Geschlossenheit den geistlichen Kampf erfolgreich kämpfen. Der Grund dafür? Nebensächlichkeiten wurden zur Hauptsache. Wie bei den Gileaditern genügte schon ein kleines Wort – das „Schiboleth“, und schon gab es Grund genug, sich zu distanzieren und seinen Weg allein zu gehen. Nicht selten arteten kleine Unterschiede zu Grabenkämpfen aus, bis hin zu Verfolgungen und Verbrennungen. Das hat sich bis heute nicht geändert. „Wächter“ sorgen dafür, dass Klüfte erhalten bleiben. Wehe dem, der sein „Schiboleth“ nicht richtig aussprechen kann.

Geht man der Sache jedoch auf den Grund, stellt man mit Schrecken fest, dass auch diese die gleiche Sprache sprechen, jedoch in ihrem eigenen „Dialekt“. Auch sie lieben Jesus und lesen in der gleichen Bibel. Auch sie beten zu dem einen Gott und singen die gleichen Lieder und alle wünschen einmal im gleichen Himmel zu sein – wenn es diesen kleinen Unterschied nicht gäbe!

Eines Tages kamen die Jünger zu Jesus und berichteten, dass sie einen Mann getroffen hatten, der Teufel austrieb und Zeichen und Wunder tat – und das in Deinem Namen! Wir haben es ihm sofort verboten, denn er folgt uns nicht nach. Jesus antwortete: Das hättet ihr nicht tun sollen. Niemand treibt Teufel aus oder tut Zeichen und Wunder in meinem Namen und redet hernach schlecht von mir. Mark. 9, 38-40.

War hier nicht schon wieder das kleine Wort „Schiboleth“ ausschlaggebend gewesen? Lasst uns nach dem Motto leben, nicht weniger Brüder und Schwestern haben zu wollen, als unser Vater im Himmel Kinder hat. Wer so denkt, wird sich an den kleinen Unterschieden nicht mehr stoßen. Wo Jesus im Mittelpunkt steht, haben wir nicht mehr das Recht, weitere Fragen zu stellen. Hände reichen, statt Gräben ziehen; das Gespräch suchen, statt verleumden; Toleranz in Nebensächlichkeiten, aber Kompromisslosigkeit, wenn es um die Botschaft des Evangeliums geht. Einverstanden?

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