Wenn ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde. Psalm 73, 25
Als ich in Sibirien junge Menschen auf einer Bibelschule unterrichtete, stellte ich eines Tages eine Frage: „Wenn Umstände euch dazu zwingen würden, den Rest eures Leben auf einer einsamen Insel verbringen zu müssen, was würdet ihr als persönliche Habe mitnehmen; drei Dinge sind erlaubt.“
Die Antwort war verblüffend. Alle waren sich einig, dass sie ihre Bibel mitnehmen würden, dazu Bleistift und Papier. „Das genügt“, sagten sie. „So können wir Gottes Wort lesen und uns über seine großartigen Verheißungen freuen; wir können uns Gedanken darüber machen, aufschreiben und immer wieder lesen und sie auch ergänzen und vertiefen; beten können wir ohnehin und somit sind wir nicht mehr allein. Gott ist bei uns und diese drei Dinge machen den Aufenthalt erträglich.“
Ich war erstaunt, denn die meisten Studenten waren erst kurze Zeit zuvor an Christus gläubig geworden. Viele waren früher drogenabhängig, andere hatten eine kriminelle Vergangenheit oder lebten am Rand der Gesellschaft. Ich fragte, ob sie sich das richtig überlegt hätten. Sicher gäbe es auch andere Dinge, die sie gerne bei sich hätten. „Ja, das schon“, sagten sie, „aber diese drei zählen wir zu den Wichtigsten.“ – Das erinnerte mich an einen Spätheimkehrer, den ich in Berlin vor Jahren kennen lernte. Er hatte viele Jahre unter schwierigsten Bedingungen in Gefängnissen in Russland verbracht.
Er zeigte mir ein Büchlein, das er aus Abfallpapier angefertigt hatte. Mit seinen Leidensgenossen sammelte er alle Bibelverse, die sie kannten, und schrieb sie auf. Hatten sie Gelegenheit zusammen zu sein, lasen sie gemeinsam diese Bibelstellen und beteten. Er sagte, dass sie so eine Quelle des Trostes hatten, die ihre Haftbedingungen erleichterte.
Jeder kennt den Hunger nach Leben; jeder sucht Lebensfülle und möchte sich freuen. Jeder möchte Eigentum, sucht Liebe und Anerkennung. Kann Gott uns das alles geben? Kann man wirklich sagen: Wenn ich nur dich habe, dann frage ich nicht nach Himmel und Erde? Ich glaube, dass Asaph seinen Glauben auch so verstanden hatte. Die Frage steht im Raum, wie wir Gott erlebt haben. Waren es nur flüchtige oder gefühlvolle Begegnungen oder leben wir von einer tiefgreifenden Erfahrung? Eines steht fest, wer Gottes guten Geist empfangen hat, hat sein tiefes Verlangen nach Fülle gestillt. Er ist gesättigt worden und nach Hause gekommen. Gott kann uns wahrhaftig alles bedeuten. Er ist Licht, und sein Geist öffnet uns die Augen für seine grenzenlose Liebe. Dann wird das bedeutungslos, was keinen bleibenden Wert hat und das gewinnt an Bedeutung, was wir in die Ewigkeit mitnehmen können. Er ist der Quell wahrer Freude. Diese Freude wird dann zur tragenden Kraft. Keine Last wird mehr zu schwer, kein Weg zu weit und kein Opfer zu groß. Wer das nicht glaubt, möge einmal Menschen beobachten, die verliebt sind.
Gott ist der Inbegriff allen Lebens. Leben ist das Gesetz von Saat und Ernte und gibt uns die Möglichkeit zur Vermehrung. Wer das begriffen hat, gibt gerne. Er teilt sein Glück, um es zu vermehren. Er ist barmherzig, um Barmherzigkeit zu ernten. Wenn er zu seinem Gott betet, darf er sein Herz ausschütten und erleben, wie eine Last von seiner Seele fällt. Er atmet Gottes Gegenwart und lässt sich von seinem Geist immer wieder erfüllen. Ja, Gott kann mir wirklich alles sein.