Ein Gefängnis wird zur Kanzel

So ermahne ich dich um meines Sohnes willen, Onesimus, den ich gezeugt habe in meiner Gefangenschaft. Philemon 10

Unter den vielen Briefen des Paulus ist der Brief an Philemon ein Dokument besonderer Art. Es entstand im Gefängnis, in dem Paulus eine Haftstrafe absitzen musste wegen Verbreitung des Evangeliums.

Aus der Geschichte wissen wir, dass damalige Gefängnisse nicht mit den unseren zu vergleichen sind. Gewalt, Folter und Demütigungen waren an der Tagesordnung. Rechtanwälte gab es keine. Die Gefangenen waren der Gunst der jeweiligen Herrscher bedingungslos ausgeliefert.

Unter den Häftlingen befand sich Onesimus, offenbar ein entflohener Sklave, der mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Vielleicht war er deshalb entflohen, weil sein Herr Christ war und ihm von Jesus erzählte. Er wollte aber ein freier Mensch sein und keinen Herrn über sich dulden. Seine vermeintliche Freiheit fand ein jähes Ende. Noch ehe sie begann, landete er hier im dunklen Verließ, in dem Paulus ebenfalls eingesperrt war. Anstatt sein Schicksal zu beweinen oder sich über Gott zu beklagen, wandte sich Paulus diesem unglücklichen Mann zu und erzählte ihm, dass wahre Freiheit nicht die Abwesenheit von Ketten und Folter bedeutet, sondern das Wissen um eine Hoffnung jenseits von Raum und Zeit. Onesimus öffnete sich dieser Botschaft und helles Licht drang ein in seine dunkle Welt. Ab jetzt konnten zwei Gefangene miteinander beten, waren sie ja Brüder geworden. Der Zeitpunkt seiner Entlassung war gekommen. Da Paulus seinen Herrn, den Philemon, kannte, griff er zur Feder und verfasste dieses Schreiben. Es sollte bestätigen, dass aus einem Taugenichts ein Bruder im Herrn geworden war. Paulus übernimmt sogar die Kosten für den Schaden, der ihm entstanden sein könnte. Rechne ihn mir zu, schreibt er, denn ich betrachte ihn wie mein eigenes Herz.

Zum Schluss bittet er Philemon ihm Onesimus als Diener zu überlassen, falls es möglich wäre, denn er wird mir sehr nützlich sein, fügt er hinzu. – Wie Philemon sich entschieden hat, wissen wir nicht. Jedenfalls kam Onesimus als neuer Mensch wieder zurück. Damit wäre dieser Bericht beendet, wenn er nicht noch einige Eindrücke hinterlassen würde, die uns von Nutzen sein können.

Paulus zählt ohne Zweifel zu den größten Aposteln der Kirchengeschichte. Er war es, der das Evangelium bis nach Europa brachte. Er stand vor Fürsten ebenso wie vor den Philosophen Athens und bezeugte den einen wahren Gott. Er gründete viele Gemeinden und erlebte die Kraft des Herrn in vielfacher Weise. Und jetzt das Besondere: Nie verlor er den Blick für den einzelnen Menschen, besonders für solche nicht, die ganz unten angekommen waren, wie Onesimus. Hier an der untersten Stelle stand Paulus, sammelte ihn auf und behandelte ihn wie seinen Sohn. Er nahm seine Not ernst und war bereit, für allen Schaden aufzukommen. Ist das nicht wunderbar? Er tat alles, um einen Menschen zu Christus zu führen. Dieser Bericht zeigt einmal mehr, wie Gott sich um Menschen bemüht. Er schickt seine Diener sogar ins Gefängnis, um ein wertloses Leben zu suchen und ihm einen Sinn zu geben, für den es sich zu leben lohnt. Erinnert das nicht an die Worte Jesu: Ich bin gefangen gewesen und ihr seid zu mir gekommen? Matth. 25, 36. Ich begreife etwas: Erweckung fällt nicht wie ein Gewitterregen über uns her, sie kommt tropfenweise über Menschen, die sich von Gott gebrauchen lassen. Möchtest du ein solcher sein? Finde deinen Onesimus, er wartet schon.

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