Unversehens mitten drin

Und als sie ihn hinführten, ergriffen sie einen, Simon von Kyrene, der vom Felde kam, und legten das Kreuz auf ihn, dass er’s Jesus nachtrüge. Luk. 23, 26.

Ein spektakuläres Verhör war zu Ende und die ganze Stadt Jerusalem war mehr oder weniger daran beteiligt gewesen. Pilatus, ihr römischer Stadtherr, war der Richter dieses Prozesses gewesen – eigentlich wider Willen. Das Volk hatte ihn bedrängt und so war er unter Druck gekommen und gehorchte ihrem Willen. Als Zeichen seiner vermeintlichen Unschuld, wusch er sich vor allen daraufhin die Hände.

Simon von Kyrene hatte mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun. Sein Heimatort war Kyrene in Nordafrika; offenbar war er Gast im Lande und zählte zu den Fremdlingen. Nichts ahnend kam er von der schweren Feldarbeit. Sein Weg führte ihn geradewegs in das Getümmel, das sich vor den Toren Jerusalems auf offener Straße abspielte. Drei Menschen schlichen in gebückter Haltung an ihm vorbei zur Hinrichtungsstätte, dem Hügel Golgatha. Ihre Leiber waren schändlich zugerichtet von den Geißelhieben ihrer Peiniger. Einem war eine Dornenkrone auf den Kopf gepresst worden, so dass sein Blut das Gesicht verschmierte.

Simon hielt inne und schaute zu. Der mit der Dornenkrone brach direkt vor ihm zusammen; offenbar war er zu schwach, sein Kreuz weiter zu tragen. Einer der römischen Soldaten herrschte Simon an: „Was glotzt du so, du Fremder! Komm, trag du für ihn das Kreuz“. Simon hatte keine Wahl. Die Römer konnten mit dem Volk machen, was sie wollten. Ihrer Herrschaft waren sie hoffnungslos unterlegen.

Während Simon das Kreuz nahm, stand Jesus still und hielt noch eine kurze Rede an die Schaulustigen: „Weint nicht über mich, weint lieber über euch selbst. Die Zeit eures Untergangs steht vor der Tür, dann werdet ihr ernten müssen, was ihr gesät habt. Ihr werdet die Berge anflehen euch zu bedecken.“ Luk. 23,28-30.

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung und Simon wurde Augenzeuge des größten Ereignisses aller Zeiten: Jesus starb direkt vor seinen Augen und er konnte hören, wie er für seine Peiniger betete. Nie zuvor starb ein Mensch so wie dieser, das wusste auch Simon. Sie alle hatten gejammert, um Gnade geschrien und den Tag ihrer Geburt verflucht. Vielleicht hatte er sich bis jetzt innerlich gewehrt, das Kreuz zu tragen. „Was geht das mich an?“, wird er gedacht haben. „Soll dieser auslöffeln, was er sich eingebrockt hat. Ich habe mit dieser Angelegenheit nichts zu tun. Mir geschieht Unrecht!“ – Bis Jesus betete!

Er betete für seine Feinde. Wie ein Dolchstoß muss das durch sein Herz gedrungen sein. Simon wusste, er betet auch für mich. Jetzt spätestens durfte er erkennen, dass Gott seine Hand mit im Spiel hatte. Gott selbst wollte sich bei ihm in Erinnerung bringen, und das völlig unverhofft, fern der Heimat. So ist unser Gott. Er sieht die Menschenkinder und sucht das Verlorene. Er lässt nichts unversucht, sich bei ihnen in Erinnerung zu bringen. Hier geschah es mitten auf einer staubigen Landstraße, umgeben vom Pöbel und von Mordgesellen. Hier klopfte er an seine Tür und bat um Einlass.

Die demütigenden Befehle, das schwere Kreuz, der raue Ton der Mordgesellen – das alles sollte dem zur „rettenden Arche“ werden, der sich als unentdeckt und unbeteiligt glaubte. Plötzlich war er mitten drin und erlebte, wie der Retter aller Menschen auch für ihn sein Leben opferte. Ob er das auch für sich in Anspruch nahm?

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