Warum schreist du so

Und der Herr sprach zu Mose: Was schreist du zu mir? Sage den Kindern Israel, dass sie weiterziehen. 2. Mose 14, 15.

Nach 430-jähriger Fremdlingsherrschaft waren die Juden über Nacht frei geworden und hatten sich auf den Weg gemacht, in ein Land zu ziehen, das ihre zukünftige Heimat sein sollte. Inzwischen waren sie an das Ufer des Roten Meeres gekommen; hier endete vorläufig der Weg.

Zu ihrem Schrecken hatte sich Pharao mit seinen besten Soldaten aufgemacht, um sie wieder zurückzuholen. Sie saßen also in einer Falle. Mose schrie zu Gott und Gott sagte: Was schreist du so zu mir? Jetzt ist nicht die Zeit zu beten, jetzt musst du handeln.

Der weitere Verlauf der Geschichte zeigt, dass sie alle unversehrt an das andere Ufer kamen und ihre Wanderung ungehindert fortsetzen konnten, während Pharao die größte Niederlage seiner Geschichte erlebte. Aus dieser Begebenheit können wir etwas lernen, das für unseren Glauben von Bedeutung ist.

Ein lieber Freund erzählte mir von seiner Arbeit unter jungen Menschen. Jemand betete, dass Gott seine Engel aussenden möge, um die vielen leeren Stühle mit jungen Menschen zu füllen. Mein Freund unterbrach das Gebet und sagte: „Die Engel werden wir sein; wir werden jetzt hinausgehen und junge Menschen zu uns in den Gottesdienst einladen“. Alle folgten dem Aufruf und viele Besucher waren zum ersten Mal in einem Gottesdienst. Dieser Glaubensschritt bewirkte einen geistlichen Aufbruch in der Gemeinde und die leeren Plätze begannen sich zu füllen. Später hatte man mich als Konferenzredner eingeladen und ich konnte mich selbst davon überzeugen, dass Glaube mehr ist, als nur zu beten.

Gott hat Gebetserhörungen in unsere Hände gelegt, deshalb möchte ich gesunden Glauben mit einem Vogel vergleichen, der seine Schwingen ausbreitet, um zu fliegen. Der eine Flügel bedeutet das Gebet und der andere, im Glauben zu handeln. Beides gehört zusammen. Der alte lateinische Spruch „ora et labora“, d.h. „bete und arbeite“ war damals genau so aktuell, wie heute. Wir können Gott nicht Arbeiten übergeben, die wir selbst verrichtet müssen.

Jakobus sagt: „Wenn der Glaube keine Werke hat, ist er tot in sich selbst.“
Wir sind keine Statisten, die Gott einfach hin- und herschiebt, um nach Belieben von uns Gebrauch zu machen. Wir sind Partner, Menschen, die er ernst nimmt und mit denen er Geschichte schreiben will. Beten ist mehr als nur fromme Worte sagen. Gott kann uns zwar den Weg zeigen, den wir gehen können, aber ihn zu gehen, überlässt er uns. Er kann uns Türen zeigen, die er öffnen will, aber durch sie hindurchgehen, müssen wir selbst. Er kann uns auf die Nöte der Menschen aufmerksam machen, aber zu ihnen hinzugehen, um ihnen die Hand zu reichen, überlässt er uns.

Vielleicht muss Gott auch zu uns öfter mal sagen: „Warum schreist du so zu mir?“ Wir dürfen das Gebet nicht als Flucht vor der Verantwortung missbrauchen, nach dem Motto: Ich schließe die Augen, damit ich die Arbeit nicht sehen und falte die Hände, damit ich sie nicht anpacken muss. Gebet ist zwar grundsätzlich wichtig, aber es gibt Situationen, in denen entschlossen gehandelt werden muss.

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