Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Psalm 23, 1
Es gab wohl keinen Menschen im Alten Testament, der so verleumdet und verfolgt wurde, wie David. Von seinem Schwiegervater zum Staatsfeind Nummer eins erklärt, obwohl er sich zum König stets loyal verhielt und politisch sogar viel erfolgreicher war, wurde er aus der Gesellschaft verstoßen. Ihm verblieben nur noch die Wüste und die zerklüfteten Berge des Landes. Hier hauste er mit wilden Tieren und campierte im Freien oder in kalten Höhlen, ständig in Gefahr, von Sauls Soldaten entdeckt und umgebracht zu werden.
Um ihn hatten sich vierhundert Männer geschart. Männer, die ebenfalls in Nöte geraten waren. Andere wurden betrogen und waren hoch verschuldet und viele hatten ein verbittertes Herz. 1. Sam. 22, 2. In dieser hoffnungslosen Lage begann David zu dichten, Lieder zu schreiben und zu singen, um sich und andere zu trösten.
Es ist erstaunlich, welch liebliche Worte er trotz vieler negativer Umstände gefunden hat. Kein Hauch von Furcht, keine Worte von Rache und Vergeltung kamen über seine Lippen. Obwohl Gott ihm seinen Erzfeind einige Male in die Hände gelegt hatte, ließ er ihn leben. Er vertraute Gott, dass ihm Gerechtigkeit widerfahren würde. So dichtete und sang er: Er weidet mich auf einer grünen Aue und führt mich zum frischen Wasser; er erquickt meine Seele. Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Er bereitet mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. – Wer so etwas zu sagen vermag, dessen Herz ist unverletzt und fühlt sich geborgen, wie ein Kind auf dem Schoß des Vaters. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkst mir den Becher voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang. – Wie müssen diese Worte auf die geschundenen Männer gewirkt haben.
Der 23. Psalm ist sehr kurz, er hat etwa hundert Worte, aber diese haben mehr Tränen getrocknet und Hoffnung und Lebensmut gespendet, als irgendein anderes Wort. In der gesamten Weltliteratur gibt es nichts Vergleichbares. Goethes Werke umfassen etwa 3096 Seiten und trotz der Fülle von Worten ist es ihm nicht gelungen, seiner Nachwelt etwas Ebenbürtiges zu hinterlassen. Würde ein Preisausschreiben stattfinden, dass der eine Million Euro bekommt, der mit gleicher Wortzahl etwas Gehaltvolleres zu sagen vermag, wir würden niemanden finden.
Der 23. Psalm hat bisher einige Jahrtausende Geschichte geschrieben und aus unzähligen finsteren und schmutzigen Zellen wurde er von inhaftierten Christen gebetet und sie trösteten damit nicht nur ihre Herzen, sondern auch die ihrer Mitgefangenen. Nach Berichten kommt es heute noch vor, dass nach ihrer Entlassung die Wächter bekennen müssen, solch glückliche Menschen nie zuvor gesehen zu haben. Voller Erstaunen sagen sie: „Was muss das für ein Gott sein, den man Hirte nennen darf, der so liebevoll mit seinen Schafen umgeht und sie in allen Lebenslagen zu trösten vermag, dass ihnen sogar in dunklen Zellen das Lachen nicht vergeht.“
Es ist schon ein Unterschied, ob man sagt: Der Herr ist ein Hirte, oder er ist mein Hirte.