Mit Gottes Augen sehen

Da erschien dem Gideon der Engel des Herrn und sprach zu ihm: Der Herr mit dir, du streitbarer Held! Richter 6, 12

Die Midianiter und Amalekiter waren in großen Scharen gekommen, um die Ernte zu vernichten. Israel war so schwach geworden, dass es keine andere Möglichkeit mehr sah, als sich zu verkriechen. Gideon hielt sich ebenfalls versteckt. In einer Kelter war er bei der Weizenernte, als Gott zu ihm kam und ihn mit den Worten begrüßte: Der Herr mit dir, du streitbarer Held!

Gideon hatte mit einer solchen Anrede nicht gerechnet. Er fühlte sich keineswegs wie ein Held. Furcht, Not und ständige Flucht waren sein tägliches Brot. Gideon antwortete: “Wenn das stimmt, warum geht es uns so schlecht?“

Mich verwundert die Anrede. Gott begrüßt Gideon wie einen Freund. Hätte Gott nicht Grund genug gehabt, zu urteilen? Offenbar urteilt Gott anders, als wir Menschen. Gottes Gegenwart verändert die Atmosphäre: Hoffnung statt Entmutigung, Anerkennung statt Tadel, Sieg statt Schwachheit, Ende der Not statt Mangel und Flucht – so ist unser Gott, wenn Er zu uns kommt!

Ich beginne zu verstehen, warum Gott uns mit dem Adler vergleicht, der sich mit starken Flügeln in die Lüfte erhebt und davonfliegt. Jes. 40, 29-31. Er hätte uns ja auch mit einem Sperling vergleichen können, der auf der Gasse hockt. Er vergleicht uns mit einem Palmbaum in der Wüste, der trotz anhaltender Dürre immer grünt und Früchte trägt. Ps. 92, 13-16. Er hätte ja ebenso auch das Gras nehmen können, darüber jeder hinwegtrampelt. Er vergleicht uns mit einem Krieger, der seine Waffe gebraucht und den Feind besiegt. Ps. 18, 30-40. Er hätte Grund genug uns mit einem Feigling zu vergleichen.

Ja, so ist unser Gott. Er sieht uns anders, als wir uns betrachten. Er sieht uns, wie Er uns haben möchte und nicht so, wie wir sind. Er glaubt an unsere Ehrlichkeit und Fähigkeiten, auch wenn wir sie versteckt haben, wie Gideon.

Als Petrus seinen Herrn mit einem Eid verleugnete, schaute Jesus ihn nur an, das war alles. Kein Wort der Kritik kam über seine Lippen. Er rechnete trotzdem mit ihm, auch wenn er versagt hatte und kurz davor stand, wieder in seinen Beruf zurückzugehen. Jesus war ihm nachgegangen und traf ihn am See Genezareth. Liebevoll war eine Mahlzeit bereitet, er war zum Essen eingeladen. Liebevoll die Frage, ob er ihn immer noch lieben würde. Petrus bejahte und das genügte. Jesus vertraute ihm seine Schafe an – ohne Vorbedingung. Das ist Hoffnung für alle, die ihre Berufung aufgeben möchten, weil sie an sich selbst zuschanden geworden sind und nicht glauben können, dass Gott sie noch gebrauchen könnte. Kannst du dir vorstellen, dass Jesus dich ebenso begrüßen möchte wie einst Gideon? Er sieht dich in deiner Kelter und glaubt an dich. Er hat dich nicht fallen lassen, nur weil du versagt hast. Ein Gerechter fällt immer nur in die Arme Gottes – auch du! Steh wieder auf! Du Adler, schwinge dich empor! Du bist nicht erschaffen worden zu resignieren, sondern die Lüfte zu beherrschen.

Du bist kein dürres Gras, sondern ein Palmbaum. Grab noch einmal, da unten gibt es wirklich Quellen, von denen du bisher nur geträumt hast. Du streitbarer Held, ergreife das Schwert, das du abgelegt hast und stelle dich erneut dem Kampf. Du bist zum Sieg berufen, auch wenn die letzte Schlacht nicht gewonnen wurde.

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